Gedanken zum Wert Ansporn

Anscheinend gehörte ich zu den begabten Kindern, die sich selbst das Lesen beibrachten und mit fünf Jahren endlich in die Schule gehen durften. Meine Kindergärtnerin sagte einmal zu meiner Mutter: „Nehmen Sie Ihre Tochter doch lieber hier raus. Sie langweilt sich bei uns so.”

Anscheinend fiel mir in der Schule und im Studium fast alles leicht und deshalb wusste ich nicht, was ich werden sollte. Den Einstieg in die Berufswelt zögerte ich möglichst lange hinaus und legte nach dem Einser-Abitur und einer künstlerischen Bühnenausbildung noch ein Studium mit Einser-Promotion hin. Darum wurde kein Aufhebens gemacht, von Hochbegabung und individueller Förderung war damals noch keine Rede. Ein Garant für ein erfülltes Leben war das nicht. Wahrscheinlich hätte ich mir viele schmerzhafte Umwege ersparen können, wenn ich bereits früher zwei wesentliche Dinge gelernt hätte: mich bewusst mehr zu fordern und mich selbst höher wertzuschätzen.

Wenn dir alles zufliegt, tust du nur, was dir leichtfällt. Und was dir leichtfällt, kann doch nichts Besonderes sein oder in den Augen anderer einen Wert haben, dachte ich. Tatsächlich führte mich mein Leben anfangs ohne Anstrengung in Berufe oder Positionen, die mir zuflogen, in denen ich allerdings auch nie gefordert, geschweige denn gefördert wurde. Dass andere an mir vorbei befördert wurden, festigte in mir den Eindruck, dass diejenigen, die mehr Ehrgeiz und Ellenbogen zeigten, damit besser fuhren als ich. Ich wartete eigentlich bescheiden darauf, dass mir jemand sagte, was ich wert war, dass mich jemand entdeckte und mir half, mich zu entfalten.

Das Gegenteil war der Fall: Mobbing, Kündigung, Burnout. Mein Selbstwertgefühl sank weiter. Wenn du einmal außen vor bist, brauchst du vor allem zwei Fähigkeiten: Du musst unabhängig vom Urteil anderer in dir deinen eigenen Wert erkennen und du brauchst den inneren Ansporn, dich mit selbst gesetzten Zielen zu fordern und mit Durchhaltevermögen und Weitblick aus einer anscheinend verzweifelten Situation wieder hinauszubefördern. Das kann ein langer Weg sein. Und es ist nicht schlimm, wenn es dauert. Entwicklung braucht Zeit, Wegbegleiter, Ermutiger.

Höher, schneller, weiter – diese Begriffe spornen mich nicht an. Ebensowenig wie: mein Haus, mein Auto, mein Boot. Ansporn ist für mich: tiefer, wahrhaftiger, echter. Wesentlicher, persönlicher, menschlicher. Texte, die aus dem Herzen gesprochen sind, Porträts, die Individualität erlebbar und Unternehmer nahbar machen, Bücher, deren Fertigstellung ich wie der Geburt eines Kindes entgegenfiebere. Und das durchweg positive Feedback meiner Kunden.

Ich fordere mich, lerne Neues dazu und ich habe einen langen Atem. Es darf wieder leicht werden. Der Wert ergibt sich von selbst.

„Freude an der Arbeit läßt das Werk trefflich geraten.”

(Aristoteles)