Gedanken zum Wert Arglosigkeit

Jedes Kind ist arglos, nichts Böses wollend, nicht Schlechtes erwartend. Jedes Kind lebt im Vertrauen. Jeder Neubeginn ist unschuldig, offen für das, was kommt, das Beste erhoffend.

Ein neues Jahr liegt vor uns wie ein weiter Raum, den wir nur zum Teil selbst gestalten. Den anderen Teil machen die Ereignisse aus, auf die wir zunächst keinerlei Einfluss nehmen können. Ob wir ihnen mit Furcht, Sorge oder Angst begegnen, ändert nichts an ihrem Geschehen. Wenn wir auf jede neue Begegnung, auf alles vorerst Unbekannte mit Argwohn reagieren, stoßen wir zurück, was auf uns zukommt. Misstrauen sät Ablehnung, Ablehnung zieht Feindschaft nach sich.

Ist Arglosigkeit naiv? Mit etwas mehr Arglosigkeit würden wir unbefangener aufeinander zugehen, leichter in Kontakt treten, mehr voneinander verstehen. Wie Kinder, die einfach Freundschaft schließen, wie Musiker, die länderübergreifend in einem großen Orchester zusammenspielen. Arglosigkeit öffnet Raum für Begegnung. Wir können von uns absehen, gemeinsam Neues erleben und erschaffen.

Wer völlig arglos ist, hat noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Wir lernen, uns vorzusehen, zu schützen und zu prüfen. Wir ziehen Grenzen, setzen Konsequenzen. Wir sind kritisch, skeptisch, das fällt uns leicht. Um wie viel schwerer ist es, unvoreingenommen zu bleiben, uns Vorverurteilungen zu verbieten, immer wieder ein offenes Herz zu bewahren? Das erfordert Mut, Neugier und wirkliches Interesse am anderen.

Arglos gehen wir ins neue Jahr, Kinder der Menschheit, Kinder der Erde, nichts Böses wollend, nichts Schlechtes erwartend, das Beste erhoffend. Gehen wir aufeinander zu, gehen wir ein Stück des Wegs gemeinsam.

„Frei und natürlich, wie das Genie in seinen Geisteswerken, drückt sich die Unschuld des Herzens im lebendigen Umgang aus.”
(Johann Christoph Friedrich von Schiller)