Gedanken zum Wert Beflissenheit

„Wie schön der Balkon geworden ist”, freut sich meine Mutter und sieht sich neugierig um. Nach fünf Monaten in diversen Krankenhäusern ist ihr die eigene Wohnung fremd geworden. Ich habe wochenlang beflissen aussortiert, aufgeräumt, gewaschen, geputzt, entrümpelt, bepflanzt, eingekauft, gerückt und gerichtet. Der Boden ist jetzt frei für Rollstuhl und Rollator. Die Wohnung sieht hell und luftig aus und wirkt größer als zuvor.

Von Operationen geschwächt, kann sie noch nicht alleine gehen. Morgens und abends erhält sie Hilfe. Die Damen sind freundlich und kompetent. Nach drei Tagen bemerken wir, dass sie nicht alleine bleiben kann. Jederzeit kann ein Pflegenotfall eintreten. Ich verhandle, telefoniere, recherchiere, organisiere, finde einen Pflege-Platz für einige Wochen, der Umzug verläuft reibungslos. Sie ist zufrieden. Ich bin traurig. Wir leben in der Hoffnung, dass im Sommer wieder operiert wird, die Pflege danach leichter fällt, sie wieder selbstständiger leben kann. Wieder Vollnarkose, Intensivstation, Ruhephase, Regeneration, Muskelaufbau, Schonung, Heilung, Mobilisation.

Das Alter macht verletzlich. Zart und schutzlos, hilflos und abhängig von anderen verdienen wir das Beste: Würde, Wertschätzung, Respekt, Sorgfalt, Verantwortungsbewusstsein und Umsicht. Andere müssen sich darum bemühen, es uns recht zu machen. Andere müssen für uns sorgen. „Was hätte ich bloß ohne dich gemacht?”, sagt sie oft und drückt mir dankbar die Hand. Ob sie in ihre schöne Wohnung zurückkehren kann, wissen wir noch nicht. Tapfer und geduldig erträgt sie ihre Krankheit, motiviert und bemüht übt sie das Sitzen, Stehen, Gehen, hält fest an den letzten Reserven ihres selbstständigen Lebens. Zehrt von ihrer Willenskraft, freut sich an Kleinigkeiten.

Ich bin für sie da, so wie meine Mutter für mich da war und ist. Solange das Leben dauert, sollten wir es einander lebenswert machen, uns sagen, was uns auf dem Herzen liegt, uns zeigen, dass wir uns lieben.

 „Das Beste, was der Mensch für einen anderen tun kann, ist doch immer das, was er für ihn ist.”
(Adalbert Stifter)