Gedanken zum Wert Beteiligung

„Warum bist du ausgerechnet nach Deutschland gekommen?“, frage ich das Mädchen. Sie sitzt aufrecht am Tisch und isst langsam Spinat und Reis mit einer Kuchengabel. „Bei uns in Syrien ist es bekannt, dass man in Deutschland ohne Papiere einreisen kann“, antwortet sie fließend auf Englisch. „Außerdem möchte ich hier Medizin studieren.“ „Bei deinen Englischkenntnissen könntest du das auch z.B. in London tun oder warum nicht in den Emiraten in deiner Sprache?“ „Die wollen uns nicht haben.“ Sie streicht ihre langen schwarzen Locken aus dem Gesicht und lächelt. „Ich muss noch lernen“, sagt sie und präsentiert in bester Aussprache die Vokabeln, die sie bereits beherrscht: Schornsteinfeger, Wimperntusche, Küchenschrank. Ich bin verblüfft. Traumatisiert wirkt sie nicht. Gelassen hält sie über ihr Handy Kontakt zu ihrer Familie. „Bei uns sind die Familien im Krieg um jeden Preis zusammen geflüchtet. Wie konnten deine Eltern dich diese gefährliche Reise alleine unternehmen lassen?“, wundere ich mich. „Ein Bekannter meiner Eltern hat mich begleitet. Sie müssen erst noch ihr Haus verkaufen und kommen später nach“, sagt sie.

Die beiden anderen Mädchen, Schwestern aus Afghanistan, zeigen bisher keinerlei Interesse daran, unsere Sprache verstehen und sprechen zu lernen. Englisch können sie nicht. Wie lange sie zu Hause die Schule besucht haben, weiß man nicht. Vielleicht lebten sie in einem Dorf, halfen zu Hause bei der Arbeit. Sie stützen beim Essen die Ellenbogen auf den Tisch, tunken ihr Fladenbrot in die Sauce und unterhalten sich laut. Vielleicht werden sie es schaffen, jede nach ihrer Art: die eine mit Ehrgeiz, Willensstärke, Ambition und Begabung zur Ärztin, die anderen werden vielleicht bald heiraten und mit den Kindern zu Hause bleiben oder in einem Laden arbeiten, ein bisschen Deutsch lernen, um mit den Kunden zu reden, und damit zufrieden sein. Alle werden ihren Beitrag leisten, sich einfügen und einbringen, so gut sie können.

„Der ist nicht fremd, der teilzunehmen weiß.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Jeder möchte sich mit dem, was ihn ausmacht, was in ihm steckt, in ein größeres Ganzes einbringen und dafür Wertschätzung erhalten, materiell wie menschlich. Ich hätte mir gewünscht, dass auch für uns jemand einen Pakt mit der Wirtschaft macht, dass auch wir nicht mit Mitte 40 bereits auf dem Arbeitsmarkt aussortiert werden, sondern unsere Erfahrung geschätzt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass die vielen Hochqualifizierten, die sich auf eigene Kosten nach ihrem Studium und neben dem Beruf breit gefächert weitergebildet haben, sich nicht als „überqualifiziert“ abgewertet sehen und in fachfremden Jobs ums Überleben kämpfen müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass auch unser Potenzial gesehen, genutzt und angemessen vergütet wird.

Vielleicht werden sich neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit entwickeln. Im besten Fall könnten neue Märkte, neue Betätigungsfelder und Arbeitsplätze entstehen. Im besten Fall könnten wir uns erst einmal besser kennen lernen, Sprache und Mentalität entdecken, miteinander Gesellschaft gestalten, jeder nach seinen Fähigkeiten.

Alle müssen Deutsch lernen, könnten ihre Geschichte mithilfe eines Dolmetschers in einem biografischen Porträt erzählen. Ich bin bereit mich zu beteiligen. Wer wird mich beteiligen? Und um welchen Preis?