PorträtEs ist einer der seltenen sonnigen Tage in einem verregneten Frühsommer. Passanten schlendern durch die Fußgängerzone, genießen ein Eis, bleiben zu einem Plausch mit Bekannten stehen, lassen sich in einem der Cafés in der Sonne nieder oder bummeln durch die Geschäfte  ̶  eine Atmosphäre von Urlaub und beschaulicher Gangart. Ich kaufe ein kleines Mitbringsel im Blumenladen und eile zurück zur Seniorenresidenz, die ganz zentral in der Nähe der Einkaufsstraße liegt. Mitten im Leben. Wer nicht mehr gut zu Fuß ist, findet im Haus alles für den täglichen Bedarf: Friseur, Fußpflege, Apotheke, Arztpraxen, eine Bank und ein Restaurant. Ich melde mich am Empfang und fahre mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. „Herzlich willkommen! Ich freue mich ja so. Ein interessanter Beruf! Das ist ja schon ganz lange geplant.“ Mit strahlendem Lächeln bittet Elisabeth Schönefeld mich in ihr Appartement und würdigt mein kleines Röschen. „Das ist aber lieb von Ihnen. Die halten lange, wenn man sie zurückschneidet und von unten gießt. Das habe ich von meinem Vater gelernt“, erfahre ich sogleich. Sie ist klein und zierlich, trägt flache Schuhe zum hellen Jeansanzug, der geringelte bunte Schal greift das frische Grün ihres T-Shirts auf. Ein blonder Kurzhaarschnitt, dezenter Schmuck und ein zarter Lippenstift unterstreichen ihre sportliche Eleganz. Noch im Flur stehend, beginnt sie sofort lebhaft zu erzählen.

„Die Residenz habe ich durch meine Eltern kennen gelernt, die hier vor 30 Jahren gelebt haben. Seitdem ist alles renoviert und schöner und heller gestaltet worden“, berichtet sie. „Ich bin jetzt ein und ein Viertel Jahr hier und fühle mich sehr wohl, weil der Geist des Hauses einfach stimmt. Jeden Morgen kommt ein Ruf durch die Sprechanlage, um nachzufragen, ob man Hilfe braucht. Der Notfallkoffer steht gepackt bereit, ich fühle mich gut betreut.“ Mit hellen und kleinen Möbeln hat sie ihr Appartement geschmackvoll eingerichtet: eine Bücherwand, vier japanische Bilder, ein Sekretär zum Briefeschreiben, ein besonderer Lieblingssessel schaffen eine kultivierte Atmosphäre, ohne dem großzügig wirkenden Raum an Leichtigkeit zu nehmen. Nebenan ein großes Fernsehzimmer mit bequemem Sessel, Schrank und Bett. Der Wohnzimmertisch ist liebevoll dekoriert, Elisabeth Schönefeld brüht frischen Tee auf. „Wenn Sie noch mal kommen, können wir einen Spaziergang durch den Schlossgarten machen“, schlägt sie vor und schließt die Balkontür. Die Straße führt direkt am Haus vorbei.

Sie ist gerne in Bewegung, den Fahrstuhl nutzt sie nur selten. Als Krankengymnastin weiß sie, dass das Treppensteigen die Muskelkraft erhält. „In unserem Alter staucht man beim Abwärtsgehen die Wirbelsäule, aber das Aufwärtsgehen ist so wichtig. Ich nehme jeden Tag 74 Stufen bis zur dritten Etage, den Fahrstuhl nutze ich nur zum Runterfahren oder um Einkäufe zu transportieren.“ Beim Einzug litt sie unter einer Entzündung im Knie, die sie durch völlige Ruhigstellung auskurierte. Ihre Geduld zahlte sich aus: Statt sich nach dem Essen hinzulegen  ̶  für viele in ihrem Alter der schönste Teil des Tages  ̶ , unternimmt sie lieber jeden Tag einen ausgedehnten Spaziergang in flottem Tempo, bei dem ihre Mitbewohner, die bereits auf Gehhilfen angewiesen sind, nicht mehr Schritt halten können. Als sie in die Residenz zog, kannte sie niemanden im Haus, inzwischen hat sie sich einen kleinen Kreis von guten Bekannten zum Scrabble- und Kartenspielen oder Kaffeetrinken aufgebaut. Zusätzlich begleitet sie gelegentlich Bewohner, die schlecht sehen können, zu Terminen. Elisabeth Schönefeld engagiert sich gerne. „Kranke oder gebrechliche Menschen waren immer mein beruflicher Lebensinhalt. Ich sehe die Bewohner im Rollstuhl und weiß, das kommt alles irgendwann auf mich zu. Deshalb bin ich dankbar, dass ich noch laufen kann und in diesem schönen Ambiente wohne“, sagt sie und erkundigt sich nach meiner Mutter.

Elisabeth Schönefeld serviert Kuchen, springt immer wieder auf, um Tee nachzuschenken, eine aufmerksame Gastgeberin, die das Wohl ihres Gegenübers im Blick behält.

Geboren wurde sie 1936 im Harz, zwischen Magdeburg und Halle, wo ihr Vater als Landwirt und Saatzüchter ein großes Gut bewirtschaftete. „Meine Eltern bekamen zur Hochzeit von ihren Eltern ein Rittergut geschenkt mit der Auflage, das großelterliche Gut in Bründel Plötzkau zu übernehmen, wenn mein Großvater es aus Altersgründen nicht mehr bewirtschaften könnte. Zu dem Gut gehörten eine Zuckerfabrik, eine Brennerei, eine Schmiede zum Beschlagen der Pferde und Käfige, in denen Frettchen für die Jagd gehalten wurden. Mein Großvater, Jurist und ebenfalls Landwirt, starb 1941 unerwartet an einem Herzinfarkt. So mussten wir plötzlich auf das Gut des Großvaters umziehen, und mein Vater wurde Domänenpächter auf einem sehr großen Gebiet in Bründel Plötzkau. Da war ich fünf Jahre alt“, erzählt sie. Elisabeth Schönefeld erlebte ihre Kindheit auf dem Land als behütet und geborgen. Anna, das Kindermädchen, umsorgte sie und ihre Geschwister rund um die Uhr, aß mit ihnen, badete sie nach dem Abendessen, hüllte sie in ihre weißen Bademäntel und brachte sie ins Bett. Für die Kinder gab es einen Extratrakt im Haus: ein Spielzimmer, ein Schlafzimmer für die Schwestern und ihm gegenüber ein Schlafzimmer für den Bruder. Der Kontakt zu den Eltern, die sich um das Gut kümmerten und auch manchmal für ein paar Tage wegfuhren, um Freunde zu besuchen, war distanzierter als heute üblich. Die Kinder waren gut aufgehoben. Personal zu haben galt als selbstverständlich: eine Köchin, eine kalte Mamsell für das Abendessen, eine Weißnäherin für die Kleidung. „Das klingt großspurig, aber im Osten war das damals so“, ergänzt sie bescheiden. Ihre Eltern waren angesehene Respektspersonen und Vorbilder für soziales Engagement. „Vater sorgte dafür, dass die Arbeiter in ihren Häusern gut untergebracht waren. Wenn Vater oder Großvater durch die Felder ritt, blieben die Bürger am Wegrand stehen und zogen den Hut.“

Während ihr Bruder in die Bäume kletterte, gelegentlich auf dem Traktor mitfahren durfte, seine Hasen fütterte und ihre Ställe putzte, spielten die Mädchen im Spielzimmer mit ihren Puppen oder fütterten ihre beiden Schildkröten, die in einer Grotte im Park Auslauf hatten, mit Salatblättern. Väterlicherseits gab es einige Ärzte in der Familie, und da Elisabeth Schönefeld früh von allem Medizinischen fasziniert war und selbst als junges Mädchen lange an einer Herzmuskelentzündung und an Nierenbeckenentzündungen litt, waren ihre Puppenkinder immer „krank“, trugen ein Taschentuch um den Hals oder einen Verband am Bein. „Das fand meine Schwester doof und langweilig“, erinnert sie sich. Ab und zu machte ihr Bruder sich einen Spaß daraus, mit seiner kleinen Eselskutsche hinter der Pferdekutsche der Eltern herzufahren und die kleinen Schwestern auf der Rückbank ordentlich durchzurütteln, wenn der Vater den Weg freigab und er mit dem Esel waghalsige Wendemanöver probierte.

Schon als Jugendliche war Elisabeth Schönefeld sehr sportlich. Sie mochte Leichtathletik, war begabt im Laufen, Werfen, Springen und wurde von ihrer Sportlehrerin ermutigt. Im Garten der Großeltern gab es Tennisplätze. Zwischen zwei Birken im Park hatte ihr Vater eine Schaukel, ein Reck und Ringe befestigt, an denen sie ausdauernd turnte und kopfüber die dicken blonden Zöpfe ins Gras hängen ließ. 1942 wurde sie in der Volksschule in Bründel eingeschult. Eine Zuckertüte gab es nicht. Das kannte man im Osten nicht. Sie ging sehr gern zur Schule, machte anfangs ihre Schulaufgaben mit Kreide, Schwämmchen und Lappen auf einer Schiefertafel, später mit Federhalter und Tinte im Heft. 1944 wurde ihr jüngerer Bruder geboren, er blieb ein Sorgenkind der Familie. Während die Welt vom Zweiten Weltkrieg erschüttert wurde, erlebte Elisabeth Schönefeld im Kreis ihrer Familie eine glückliche Kindheit in schöner Landschaft und kultivierter Umgebung. „Nur als die Schulwege durchs Dorf im Krieg zu gefährlich wurden, hatten wir Hausunterricht von einem Vetter und einer Cousine – Kinder von Vaters ältester Schwester, die in Berlin ausgebombt waren.“
Die ländliche Idylle endete 1945 mit der Besetzung des östlichen Harzes durch sowjetische Truppen und die Zuerkennung von Teilen des damaligen Deutschen Reiches durch die Alliierten an Polen. Großgrundbesitzer wurden enteignet, und ihr Vater erhielt von seinem Rechtsanwalt in Halle den dringenden Rat, das Gut sofort zu verlassen und die Familie in absehbarer Zeit an einen vereinbarten Treffpunkt nachzuholen. Man munkelte von Theresienstadt und Lagern für Zwangsarbeiter. Darüber wurde mit den Kindern nicht gesprochen. „Auf dem Land bekamen wir vom Krieg nicht viel mit. Gehungert haben wir nie, denn Vorräte gab es genug. Wir konnten sogar noch die Schwester meines Vaters mit ihren zwei Kindern aufnehmen, als ihr Mann fiel.“ Elisabeth Schönefeld springt auf, schneidet den Käsekuchen in kleine Stücke und schenkt Tee nach. „Wir essen das alles auf, aber so sieht es etwas vornehmer aus“, erklärt sie lachend.

Mit neun Jahren musste sie mit ihrer Familie auf die Flucht gehen, um das Land den Polen zu überlassen. Im Oktober war ihr Vater bereits mit dem Fahrrad Richtung Göttingen zu seiner Mutter geflohen, drei Tage vor Weihnachten wurde der Rest der Familie ausgewiesen. „Wir treffen uns bei Großmama. So war es verabredet“, erinnert sie sich. „Meine Schwester hatte damals eine Mittelohrentzündung und weinte vor Schmerzen. So erhielt meine Mutter die Berechtigung, mit einem ärztlichen Attest ihres Vetters in der Tasche und uns Kindern an der Hand zur Behandlung in eine Göttinger Klinik zu reisen.“ Das Kindermädchen, Anna, begleitete sie bis zum Bahnhof in Halle. Dann trennten sich ihre Wege. Die Verbindung blieb dankbar und freundschaftlich. Anna bot an, den jüngsten Bruder vorübergehend zu sich und ihrer Tochter in Pflege zu nehmen, bis die Verhältnisse sich etwas konsolidiert hatten. Zwei Jahre lang kümmerte sie sich um den Kleinsten ̶ ein treuer Dienst, den die Eltern ihr ihr Leben lang hoch anrechneten. Die Flucht glückte. Den Tornister mit der Aufschrift Elisabeth Küster will nach Walkenried vorm Bauch, wurde sie mit anderen Kindern durchs Fenster in eines der überfüllten Zugabteile gehoben. In Walkenried wollten sie zunächst Station bei Verwandten ihrer Mutter machen. Mit dem letzten Interzonenzug von Halle nach Braunschweig erreichten sie den Westen. Endstation Braunschweig: Der Bahnhof eine Ruine, es war bitterkalt und schneite hinein. „Ich weiß noch, dass wir Kinder stundenlang alleine warteten, während meine Mutter auf dem Bahnhof umherlief und in der Hoffnung, etwas über den Verbleib der Familie zu erfahren, Fremde ansprach. Wir Mädchen weinten, mein Bruder versuchte uns zu beruhigen. Wie meine Mutter es schaffte, Kontakt mit ihrem Vetter, der vom Nachbargut Ilberstetz nach Wolfenbüttel geflohen war, wiederaufzunehmen oder meinen Vater Paul zu finden, weiß ich nicht. Ich vermute, dass sie Verbindungsleute aus Wolfenbüttel auf dem Bahnhof ausfindig gemacht hat.“ Elisabeth Schönefeld klingen immer noch die Sätze aus den Erzählungen ihrer Mutter im Ohr: „Hier ist Rosie, wo ist Paul?“ Stille. Dann: „Paul steht neben mir.“ Sie weiß, dass ihr Vater gerade zu der Zeit in Wolfenbüttel war. Fragmente, Spuren, Unerklärliches aus dem Dunkel der Kriegswirren. Das Wichtigste: Die Familie fand sich wieder. Man hatte überlebt und war wieder zusammen. Mit äußerst knappen und bescheidenen Mitteln begannen Elisabeth Schönefelds Eltern wieder ein recht normales Familienleben aufzubauen.

1948 erhielt ihr Vater, der die Saatenanerkennung in Niedersachsen machte, ein Saatzuchtgut in Monsheim bei Worms angeboten. „Dort zogen wir in ein für uns Kinder wunderschönes Gutshaus ein. Für meinen Vater war es eine große Umstellung, als Angestellter zu arbeiten und mit nichts in der Hand dazustehen. Meine Mutter, die es gewohnt war, der Köchin die Speisepläne vorzugeben, kochte selbst. Nach dem Abitur hatte sie ein Jahr lang die Maidenschule besucht, wollte eigentlich Musik studieren.“ Die Kinder brachten gute Noten nach Hause und erreichten so eine Freistellung vom Schulgeld. Die Verhältnisse zwangen zur Bescheidenheit und hielten lange Zeit Wünsche und Ansprüche im Zaum. Nach dem Abitur hätte Elisabeth Schönefeld gerne Medizin studiert, aber es war ihr bewusst, dass ihre Eltern nicht allen Kindern ein Studium ermöglichen konnten. So verzichtete sie und wechselte zur Krankengymnastik, zu einem damals noch ganz unbekannten Fachgebiet. Im Nachhinein war es für sie die richtige Wahl. Elisabeth Schönefeld liebt ihren Beruf, hat sogar nach Eintritt des Rentenalters ehrenamtlich weitergearbeitet und gerät ins Schwärmen, wenn sie darüber spricht. Man könnte sie wohl nachts wecken, und ihr würden noch die passenden krankengymnastischen Übungen einfallen. „Der Beruf ist einfach schön. Ich war beseelt von dem Gedanken, anderen Menschen helfen zu können. Der Kontakt mit den Menschen gefällt mir.“

Die Ausbildung absolvierte sie auf den Vorschlag ihrer Großmutter hin in ihrer Nähe in Göttingen, weil es dort eine sehr gute Krankengymnastik- und eine der wenigen Atemschulen gab. Nur zu gerne folgte sie diesem Ruf. „Großmama spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle. Unter ihren 14 Enkelkindern nannte sie mich immer ihr Herzblättchen. Ich habe sie unendlich geliebt“, sagt sie und nimmt einen Schluck Tee. „Ich mache meine ganze Krankengymnastik immer in Verbindung mit der Atmung und bin fest davon überzeugt, dass das hilft“, erläutert sie und zeigt mir, wie man richtig in den Bauch atmet. „Genau wie die Atmung verlaufen die Bewegungen in einer Sinuskurve. Spannungsübungen mit der Atmung zu verbinden ist für viele Patienten ungewöhnlich, aber sehr wirkungsvoll. Wer das verinnerlicht, der hat auch etwas davon. Hatten Sie schon einmal Krankengymnastik?“, erkundigt sie sich voller Interesse. Ich kenne Probleme mit der Halswirbelsäule. „Da könnte ich auch dran!“, bietet sie spontan an, ganz in ihrem Element.

Die Ausbildung bestand aus Vorlesungen an der Universität, praktischen Übungen am Krankenbett, Sport und Bewegung. Gerne erinnert sie sich an diese schöne Zeit und die vielen abendlichen Besuche bei ihrer Großmama. Von ihr, die selbst als Frau eines Professors für Gynäkologie das Alleinsein kannte, lernte sie, wie wichtig es ist, sich einen engen Kreis von Freunden und Freundinnen aufzubauen, gute, langjährige Freundschaften zu pflegen und auch über Entfernungen hinweg aufrechtzuerhalten. „Die Männer haben ihren Beruf, ihre Kollegen, ihre Corpsbrüder und Freunde.“ Und ihr verdankt sie die Begegnung mit ihrem späteren Mann, Walter Schönefeld. „Unsere Großmütter waren schon in Dortmund Kränzchenfreundinnen, und Walter meldete sich bei Großmama zum Besuch an, als er in Göttingen war. Großmama erzählte ihm, dass ich gerade mit der Krankengymnastikausbildung angefangen hätte und sie jeden Donnerstag besuchen käme, und lud ihn zum Abendessen ein. Mir erzählte sie anschließend von ihm. Dass er Medizin studierte, gefiel mir natürlich.“

Elisabeth Schönefeld war 21 Jahre alt. „Ja, dann kam ich zu Großmama, und da saß er. Am 19.2.1958 lernte ich also meinen zukünftigen Mann kennen. Wir kamen schnell ins Gespräch, unterhielten uns gut und waren uns sofort sympathisch“, erinnert sie sich. Der Sessel, in dem sie ihn zum ersten Mal sah, nimmt einen besonderen Platz in ihrem Appartement ein. Ihr Vater hat ihn aus dem Nachlass der Küsters für sie und ihren Mann gerettet und schön aufarbeiten lassen. Sie hält ihn in Ehren. „Großmutter bat Walter dann mich nach Hause zu bringen.“ Er studierte in Tübingen Medizin und dachte daran, nach Göttingen zu wechseln. „Vier Wochen später traf Großmama ihn auf dem Blumenmarkt und lud ihn zum Mittagessen am Sonntag ein. Mich natürlich ebenfalls.“ Das Göttinger Theater bot damals unter Heinz Hilpert Lesungen für Studenten zum ermäßigten Preis an, und diese kulturellen Veranstaltungen besuchten beide gerne gemeinsam. „Großmutter schenkte uns daraufhin völlig arglos Karten fürs Theater: Die Heiratsvermittlerin von Thornton Wilder!“, lacht sie. Sie unternahmen lange Wanderungen und fuhren mit dem Motorroller durch den Harz. Sie waren sich einig und genossen ihr Glück.

1959 beendete Elisabeth Schönefeld ihre Ausbildung, und beide planten nach Bonn zu ziehen. Sie wollte sich eine Stelle im Krankenhaus suchen, er die Universität wechseln. Aber beide Väter sprachen ein Machtwort. Es kam nicht in Frage, in derselben Stadt zu wohnen, solange Walter Schönefeld noch studierte und sich auf sein Examen vorzubereiten hatte. Sie fügten sich und suchten Wege, sich weiterhin treffen zu können. Nur wenige Kilometer von Bonn entfernt fand Elisabeth Schönefeld eine Stelle im Krankenhaus in Troisdorf. Nach der Arbeit musste sie nur mit dem Zug über den Rhein fahren, um ihren Freund zu sehen. „Dass wir uns so oft verabreden konnten, haben wir natürlich den Eltern nicht erzählt“, verrät sie schelmisch. „Das blieb unser Geheimnis.“

Gesprächsstoff hatten sie mehr als genug: Sie erzählte ihm von ihren Erfahrungen im Krankenhaus, er gab ihr Einblick in medizinische Fachthemen, ließ sie die Ärztlichen Mitteilungen und seine Physikumsarbeit lesen. Nach dem Staatsexamen erwarteten beide Väter des jungen Paars, dass er noch vor der Hochzeit promovieren sollte. Wieder hieß es sich in Geduld fassen. „In den letzten Semestern hat er gleichzeitig seine Promotionsarbeit geschrieben, und dann durften wir heiraten. Wir hatten liebevolle, aber strenge Eltern. Mein Mann bat meinen Vater förmlich um meine Hand, wie sich das damals gehörte. Wir hatten meine Eltern oft besucht, und mein Mann verstand sich sehr gut mit meinem Vater. Sie spazierten durch die Monsheimer Pfirsichplantagen und sprachen abends beim Pfälzer Wein über Landwirtschaft, Corpsbruderschaften und Gott und die Welt. Wir waren glücklich.“

In Iserlohn fanden sie ein Krankenhaus, das eine Krankengymnastin und einen Medizinalassistenten zur Anstellung suchte, und Elisabeth Schönefeld ließ sich schließlich von ihrem Schwiegervater überzeugen, dass Iserlohn eine schöne Stadt und das Sauerland nicht das Ende der Welt ist. Sie feierten Verlobung und heirateten im großen Kreis von Verwandten und Freunden bei Eiseskälte im Februar, denn am 1. März sollten sie in Iserlohn ihre Stellen antreten. „Der Bürgermeister bemühte sich bei der standesamtlichen Trauung, Hochdeutsch statt pfälzischer Mundart zu sprechen. Anschließend machten wir noch eine Woche Skiferien im Schwarzwald“, erinnert sie sich lächelnd. „Da sind wir tatsächlich eingeschneit. Einen Tag kamen wir zu spät“, amüsiert sie sich. Für ein Jahr bezog das junge Ehepaar eine möblierte Mansardenwohnung in Iserlohn und bekam oft Besuch von Elisabeth Schönefelds Schwester aus Bonn, die dort eine Stelle als MTA gefunden hatte. Im Haus wohnten die Vermieter und eine junge Familie. Der Bruder der jungen Frau kam ebenfalls häufig aus Bonn zu Besuch. „Wir schlugen ihm vor, mit meiner Schwester eine Fahrgemeinschaft zu bilden. Und so haben wir schließlich eine Ehe gestiftet“, freut sie sich. Die jungen Paare schlossen Freundschaft, unternahmen gemeinsame Wanderungen durchs Sauerland, und noch heute besucht Elisabeth Schönefeld ihre Freundin aus damaliger Zeit, die inzwischen in einem Seniorenheim in Iserlohn lebt.

Nach einem Jahr absolvierte mein Mann ein Praktikum in Göttingen. Mich hatte das Krankenhaus gebeten, noch ein Vierteljahr weiterzuarbeiten, als meine Kollegin ausfiel. Es hat mir gefallen, dort sehr selbstständig arbeiten zu können. So waren wir für drei Monate getrennt und besuchten uns an den Wochenenden“, erzählt sie. Schließlich bezogen sie eine günstige Wohnung am Stadtrand. „In Göttingen kam dann unser ältester Sohn, Michael, zur Welt. Mein Mann hatte immer das Glück, dass sein Chef ihn überallhin mitnahm, wenn er einen Ruf an eine andere Universität erhielt. So wurde er in seiner wissenschaftlichen Laufbahn immer weiter gefördert. Dadurch sind wir so oft umgezogen.“ Der Umzug in die Residenz war ihr 13. Wohnortwechsel. Inzwischen fühlt sie sich hier zu Hause.

Elisabeth Schönefeld steht auf, um Tee nachzuschenken. „Ich freue mich richtig, dass Sie da sind“, sagt sie und serviert mir noch ein Stückchen Kuchen.

In München forschte ihr Mann an einem renommierten Institut, um für seine Habilitation wissenschaftlich zu arbeiten, während Elisabeth Schönefeld zu Hause blieb. „Er führte Messungen von Natrium im Urin von Hunden durch, bereitete seine Hochschulvorlesungen vor und ging auch an den Wochenenden ins Institut. Zum Teil musste er sogar nachts arbeiten. Da war ich schon sehr viel allein mit dem Baby. Den anderen Medizinerfrauen ging es ähnlich. Wir mussten uns daran gewöhnen.“ Die Karriere des Mannes ging vor, Zeit für Familie und Freunde blieb damals kaum. Man lebte in sparsamen Verhältnissen mit der Aussicht, dass es immer nur aufwärts gehen konnte. In der Forschung im Institut zu bleiben kam für ihren Mann dennoch nicht in Frage. Er fühlte sich dazu berufen, wieder an die Klinik zurückzukehren und Patienten zu helfen. So entschieden sich beide, wieder nach Bonn zu wechseln. „Das war für mich wirklich schön. Ich bin als Preußin in Bayern nie heimisch geworden und konnte nicht wirklich Anschluss finden. Das viele Alleinsein machte mich oft traurig.“ Am Ende der Münchner Zeit wurde ihr zweiter Sohn, Peter, geboren. Sie fanden eine schöne Dreizimmer-Wohnung, ihr Mann fuhr mit dem Auto zur Uniklinik, habilitierte sich und wurde mit 36 Jahren zum Professor berufen. „In den ersten Semestern hat er ein bisschen gebummelt. Ich durfte ja als junges Mädchen auch die Feste und Bälle der Corpsbruderschaften mitmachen. Das war schon ein tolles Leben. Später hat er die verlorene Zeit durch Fleiß und Ehrgeiz wieder aufgeholt.“ Man etablierte sich. Walter Schönefeld folgte seinem Chef nach Köln und wurde Oberarzt.

Die junge Familie bezog zunächst eine Wohnung und konnte sich ein Jahr später vergrößern. Elisabeth Schönefeld kaufte gerne in einer kleinen Boutique ein und kam mit der Besitzerin ins Gespräch, die einen Umzug plante und ihr Haus zur Miete anbot. „Bis 1981 wohnten wir dort, dann wurden rundum sehr schöne neue Häuser gebaut. Mein Mann ging immer durch die Neubauten und schwärmte mir von versetzten Treppen und Ebenen vor, aber wir ließen unser Geld lieber den Kindern zugutekommen, bevor wir in Eigentum investierten.“ Sie unternahmen gemeinsame Reisen, segelten, liefen Ski und zeigten ihren Söhnen die schönsten Gegenden. Es war ihnen wichtiger, zusammen etwas zu erleben. „Und die Kinder fahren heute mit unseren Enkeln an dieselben Orte. Ein schöneres Danke gibt es doch gar nicht“, resümiert sie.

Nach 15 Jahren als Oberarzt in Köln erhielt Walter Schönefeld das Angebot, die Kardiologie in Solingen samt Intensivstation zu übernehmen, eine große Verantwortung, die seinen vollen Einsatz forderte. Gemeinsam kauften sie ein Haus in Solingen, und Elisabeth Schönefeld blieb noch für ein Jahr in Köln, da ihr jüngster Sohn mitten in Abiturvorbereitungen steckte. In dieser Zeit lernte Walter Schönefeld seine jetzige zweite Frau kennen. Die Familie war erschüttert. „Er war 50. Sie spielte Tennis. Das war für mich eine ganz schreckliche Zeit.“ In der Hoffnung, ihre Ehe zu retten und dieses Tief gemeinsam zu überwinden, zog sie in das Solinger Haus. „Ich hatte so viel Gottvertrauen, weil mein Mann damals sagte, es muss ja nicht für immer sein. Ich kam aus einer heilen Welt. Das war ein ganz tiefer Fall“, sagt sie leise. „Aber ich konnte 30 Jahre lang alleine in dem Haus wohnen und er hat alles für mich bezahlt. Nach dem Verkauf des Hauses hat er mich sehr großzügig beteiligt. Deshalb kann ich jetzt hier in der Residenz so schön wohnen. Das rechne ich ihm hoch an.“ Die Söhne waren aus dem Haus und gingen ins Studium, sie fand wieder Arbeit als Krankengymnastin. Wie sie den Schmerz der Trennung bewältigte? „Ich habe noch nie so viel in meinem Leben geweint wie die ersten Jahre in diesem Haus. Und ich habe intensiv innerlich an mir gearbeitet. Verstehen kann ich es bis heute nicht, in gewisser Weise verziehen habe ich ihm wohl.“ Eine Narbe bleibt dennoch, die Bilanz ist immer wieder schmerzlich. Eine Verbindung mit einem anderen Mann kam für sie nie in Frage. „Was uns beide berührt und wir zusammen empfinden, das hätte mir kein anderer Mann geben können. Ich hätte innerlich immer verglichen“, gesteht sie sich ein. Die Schönefeldschen Familienfeste meidet sie bis heute. „Das kann ich noch nicht.“

Inzwischen steht Elisabeth Schönefeld wieder in freundschaftlichem Kontakt mit ihrem Ex-Mann und blickt dankbar auf ihre langjährige Ehe zurück. Sie ist stolz auf ihre Söhne, die als Arzt und Unternehmensberater erfolgreich sind, und eine begeisterte und liebevolle Omi für ihre Enkel, die sie gerne im „Omihaus“ besuchen. Den Umgang mit ihnen hat sie ihm nie verwehrt. „Meine Söhne und Freunde stehen immer zu mir. Das stärkt unglaublich. Und in Magdalena und Susanne habe ich vom ersten Tag an ganz liebevolle Töchter dazugewonnen“, erzählt sie. Elisabeth Schönefeld ist nicht verbittert, bedauert aber, dass die Zeit der gemeinsamen Konzert- und Museumsbesuche mit ihrem Ex-Mann, die sie sehr genossen hat, vorüber ist. Vielleicht findet sie unter den Mitbewohnern in der Residenz hierfür wieder Begleitung, hofft sie.

Das Telefon klingelt. Morgen wird sie mit einer Mitbewohnerin einen Stadtbummel in Köln unternehmen. Nach zwei Stunden Gespräch zeigt Elisabeth Schönefeld keinerlei Anzeichen von Müdigkeit. „Das ist auch Ihre Ausstrahlung und die Art, wie Sie zuhören. Da stimmte von Anfang an alles“, lobt sie anerkennend, „ich hoffe, dass wir in Kontakt bleiben. Sie können mich jederzeit anrufen.“ Auf die Feier zu ihrem 80. Geburtstag im engsten Freundes- und Familienkreis freut sie sich sehr.

Elisabeth Schönefeld liest gerade die Biografie Guido Westerwelles, der vor wenigen Monaten im Alter von 54 Jahren an den Folgen einer Leukämieerkrankung verstorben ist. Gelebtes Leben, das sie berührt. Der kostbare Wert der Zeit ist ihr bewusst. Wenn sie zurückblickt auf bald 80 Jahre und sich fragt, was ihr immer wieder Kraft gab, sieht sie ihre Eltern als großes Vorbild dafür, wie man im Leben durch schwierige Umbruchsphasen kommt, in denen man scheinbar vor dem Nichts steht. „Meine Mutter sagte mir: ,Elisabeth, du musst lernen, an deine innere Stimme zu glauben und Vieles mit dir selbst auszumachen.‘ Das hat mir geholfen. Und ich glaube, dass jeder Mensch einen Schutzengel hat, der ihm zur Seite steht. Du musst aber auch deinen Teil dazutun und immer nach vorne sehen.“