Hotelskizze – Ankunft in Bayreuth

Die Rezeptionistin braucht eine ganze Weile, bevor sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkt. Lange genug, um mir das Gefühl zu geben, Bittsteller zu sein, ein Störenfried, dem sie sich für einen Moment zuwendet, um die wichtigsten Kernbotschaften in knappen Sätzen in Erfahrung zu bringen und ihrerseits zu übermitteln. Ich erhalte eine Chipkarte und eine Zimmernummer, dann wendet sie sich wieder ihrem Bildschirm zu.

Niemand begleitet mich aufs Zimmer, niemand erklärt mir, wie die Tür zu öffnen ist – die Chipkarte stecken lassen, umdrehen oder doch nur kurz durchziehen und wieder herausnehmen? Ich beschließe, noch einmal als Bittsteller aufzutreten und jetzt womöglich wirklich lästig zu werden und gehe zurück zum Fahrstuhl. Die Tür öffnet sich und ein verliebtes Pärchen tritt in den Flur. Ich frage, wie man mit dieser Karte sein Zimmer betreten kann, und beide erklären mir gestenreich, dass sie leider kein Deutsch verstehen. Mein Anliegen verstehen sie dennoch und laden mich ein, ihnen zu ihrer Zimmertür zu folgen. Drei Handbewegungen und sie öffnet sich. Turtelnd ziehen sie sich zurück und ich bedanke mich. So gelingt es mir, mein Zimmer zu betreten, ohne die Rezeptionistin nochmals zu belästigen und dazu noch als Idiotin auffällig zu werden.

Das Zimmer ist funktional eingerichtet, vom Doppelbett die eine Hälfte bezogen, die andere nackt, Kopfkissen und Bettdecke liegen zusammengerollt auf dem Schrank. Es ist eiskalt und bis ich die Heizung am Fenster und im Bad voll aufgedreht habe, spüre ich bereits Halsschmerzen. Mehrmals gehe ich im Mantel zum Auto in der Hoffnung, mich durch Bewegung aufzuwärmen. Mit Koffer, meinem Lieblingskopfkissen, Büchern, drei Hosenanzügen gehe ich durch die Lobby zum Fahrstuhl, den Gang rechts und danach links entlang zu meinem neuen Refugium. Die Rezeptionistin und ich, wir beachten uns nicht mehr und jeder denkt sich sein Teil. Rote Teppiche dämpfen meine Schritte im Flur. Das Zimmer ist immer noch eiskalt. Ich verstehe, dass die Heizung nur funktioniert, wenn die Chipkarte in der dafür vorgesehenen Aufnahmebox neben der Tür stecken bleibt. Da ich hungrig bin, entscheide ich mich dafür, meine Bleibe später behaglich zu machen und mich zunächst mit einem Glas Rotwein beim Essen aufzuwärmen.

Also fahre ich wieder mit dem Fahrstuhl nach unten, ein kurzer Blick zur Rezeption, und betrete den Speisesaal. Niemand, der mich am Eingang empfängt, willkommen heißt, zu einem freien Tisch führt. Zwei kleine quadratische Katzentischchen in der Mitte des Raum scheinen, nicht eingedeckt und der Deckenbeleuchtung voll ausgesetzt, noch frei zu sein. Ich bestelle Rotwein und Entrecôte mit Salat. Und erhalte ein Stück Fleisch, das am Ende der Mahlzeit in Blut schwimmt, mit bitteren Blattsalaten, wässrig angerichtet und mit zwei Tomaten- und zwei Gurkenscheibchen dekoriert. Die Blutsauce auf dem Teller mischt sich mit den Fettaugen der langsam schmelzenden und dabei von einer Zitronenscheibe abrutschenden Kräuterbutter.

Am Nachbartisch nimmt ein dicker großer Junge in Jeans und Shirt Platz und vertieft sich konzentriert in sein Tablet. An der gegenüberliegenden Wand fällt mein Blick auf ein Kunstwerk, das vermutlich innovativ wirken und den Appetit anregen soll: gedrehte Chilischoten, zu feurigen Zungen gewunden und auf eine Leinwand geklebt, darunter ein an der Wand befestigtes Glasregal mit einer einzelnen Vase, die mit Olivenzweigen bemalt und mit einem Kronkorken verschlossen ist. Dazwischen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Bitte nicht berühren“, sicher ein Gesamtkunstwerk. Unter dem Schild zieren drei Weingläser und drei Kürbisse, in gleichem Abstand zueinander platziert, ein Buffet, auf dessen rechter Seite bereits die Warmhalteplatten für ein Frühstück mit Rührei und Speck aufgestapelt sind. Jetzt liegen die Deckel noch locker auf. Der große Junge am Nachbartisch bestellt ebenfalls Entrecôte, „aber mit Pommes, wie es auf der Karte steht“.

Die weiße Rose auf meinem Tisch dreht mir den Rücken zu. Ihre Blätter zittern vom Kerzenlicht oder vom Luftzug der Vorübergehenden. Ich fühle mich von dem langweiligen Ostinato aus nur vier Basstönen und darüber improvisiertem Saxophongedudel gestört und beeile mich, die Mahlzeit zu beenden. Der Rotwein wärmt mich und die Kellnerin wundert sich über mein großzügiges Trinkgeld. Sie hat meine Serviette, mein Besteck, den Wein und schließlich den Teller so behutsam auf dem Tisch niedergelegt, dass ich an fallende Schneeflocken, die sanft mit dem Boden verschmelzen, denken musste. Wir lächeln uns an. Ein Blick, eine kurze Begegnung, die bleibt, alles aufwertet.

Mein Zimmer heizt sich schnell auf. Ich nehme die zerknautschte Tüte Gummibärchen vom Nachttisch und werfe einen Blick in die Minibar: Bier, Saft, Cola, Sekt. Rotwein gibt es nicht, wir befinden uns in Franken. Ich trinke Wasser und nehme eine Baldrian. Die Heizung pfeift leise.