Gedanken zum Wert Anonymität

Wer Anonymität bewusst sucht, will unerkannt bleiben, im Verborgenen sein, das Leben zeitweise ohne offenen Bezug zu anderen gestalten.

Unter dem Deckmantel der Anonymität fühlen wir uns sicher, bleiben privat, ziehen uns auf uns selbst zurück – wohltuend vor allem für diejenigen, deren Leben weitgehend im Licht der Öffentlichkeit stattfindet. Unter Pseudonym oder inkognito bleibt der eigene Auftritt ein wohlbehütetes Geheimnis, ein köstliches Aufatmen.

Wer sich permanent in allen Alltagssituationen mitteilt und veröffentlicht, läuft Gefahr, sich zu verausgaben, atmet sich aus. Wir zeigen der Welt, wo wir sind, was wir tun, wie wir über etwas denken. Wir stülpen unser Innerstes nach Außen. Sich zeitweise in die Anonymität zurückzuziehen bedeutet, wieder Atem zu holen, sich zu besinnen.

Reisen

„… ach, vergeblich das Fahren!
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.”

(Gottfried Benn)

Mancher fasst erst im Schutz der Anonymität Mut, Dinge zu tun oder zu sagen, die er nicht mit dem eigenen Namen verbunden sehen möchte, zu denen er sich nicht bekennen will. Anonymität in der Wechselwirkung mit anderen birgt Gefahren, verlockt dazu, Grenzen zu überschreiten, und erfordert Anstand.

Es liegt in unserer Freiheit, diesen großen Atem zu leben: zeitweise für uns selbst in der Anonymität zur Ruhe zu kommen und zu gegebener Zeit in Kontakt mit anderen mit vollem Namen für oder gegen etwas uns Wesentliches einzustehen, offen und öffentlich aufzutreten und unsere unverwechselbare Identität zu zeigen.

Persönlichkeit zählt. Für was zeigen Sie Gesicht?