Gedanken zum Wert Beweglichkeit

Colombo, Landung 6.15 Uhr Ortszeit. Nach zehn Stunden Flug schlägt mir die feucht-warme Luft Sri Lankas wie ein nasses Handtuch ins Gesicht. Ich gewöhne mich augenblicklich daran. Nach meiner inneren Uhr ist es zwei Uhr nachts, ich will sofort ins Bett. Stattdessen liegen zwei Stunden Fahrt über die Insel vor mir. Die Straßen sind voller Menschen auf dem Weg zur Arbeit – in Tuk-Tuks, dreirädrigen Mofas mit Dach und Rückbank, zu zweit oder dritt auf dem Fahrrad, der Mann tritt in die Pedale, die Frau sitzt im leuchtend farbenfrohen Sari auf der Stange, das Kind auf dem Gepäckträger, in überfüllten Bussen, auf Ochsenkarren, Mopeds, zu Fuß.

Scharen von Kindern warten in blau-weißen Schuluniformen auf den Bus. Meterhohe Buddhas lächeln in stiller Heiterkeit inmitten des lärmenden Hauptstadtgetriebes. Es wird langsam hell, als wir am Indischen Ozean entlang Richtung Beruwala fahren. Im tropisch-üppigen Hotelgarten von einer lächelnden Empfangsdame mit einer duftenden Jasminkette und schwarzem Tee begrüßt, beschließe ich, mich dem Rhythmus der Insel zu überlassen und wach zu bleiben. Die Kur beginnt sofort: 7 Uhr Frühstück, 8 Uhr Arztgespräch, 9 Uhr vierhändige Ganzkörper-Synchronmassage mit erwärmtem Sesamöl – auf Singalesisch „liebende Hände“ genannt -, anschließend Kräuterpackung im Garten, Kräuterbad, Akupunktur, Medizin. Im Gegensatz zu meinem letzten Arztbesuch in Deutschland, bei dem der überarbeitete Doktor bereits während unseres knappen Gesprächs die Abrechnungsposten in seinen Laptop eingab, nimmt sich die Ärztin ausgiebig Zeit, versenkt sich mit geschlossenen Augen in das Fühlen meines Pulses.

Die nächsten Wochen dienen dazu, meine „Doshas“ auszugleichen, „Agni“, das Verdauungsfeuer, zu stärken und „Ama“, Giftstoffe, auszuleiten. Ich überlasse mich willig den kräftigen Händen meiner zierlichen Masseurinnen, trinke bittere Medizin und heißes Wasser, schwitze im Kräuterbad und entspanne mich unter den Palmen im Garten, während Siri mir Aloe Vera auflegt und Geckos, Raben und laut keckernde Streifenhörnchen verscheucht. Während der Akupunktur steigen Bilder längst vergessen geglaubter Erinnerungen aus meinem Inneren auf und ich tröste mich mit dem Gedanken, dass nichts verloren geht, alles in mir bewahrt ist. Die Nachmittage verbringe ich mit Spaziergängen am Strand und fahre im Tuk-Tuk über die Insel. Susanthe, mein Fahrer, zeigt mir Tempel, Teeplantagen, Reisfelder, wilden Zimt, Wasserbüffel, Meeresschildkröten, eine Seidenfabrik, eine Edelsteinmine und ein Straßenfest mit kostümierten Tänzern und geschmückten Elefanten. Und allmählich beginne ich die Insel zu lieben. Die Natur ist vielfältig, üppig und wunderschön. Die Menschen sprechen leise, lächeln viel, leben bescheiden. Wir verstehen unsere Sprachen nicht und begegnen uns doch, sehen uns in die Augen und erkennen uns.

„Jedes Leben ist ja ein beweglicher Tempel des Unendlichen.“(Jean Paul)

Wieder zu Hause angekommen, esse ich eine Zeit lang noch indisch: Reis, Gemüsecurrys, Papayas, Granatäpfel, Kokosnüsse. Ich bewege mich wieder leichtfüßig, alle Muskeln sind entspannt und gedehnt. Ich fühlte die Lebensart der Menschen auf einem anderen Kontinent und all das, was uns geschwisterlich und friedvoll miteinander verbindet. Ich denke an das Gleichgewicht der Kräfte, wechsle Perspektiven, schätze das uralte ayurvedische Wissen. Ich bleibe beweglich: körperlich, seelisch, geistig. Susanthes Orchideen sind verblüht, die Kautschuknüsse, die wir am Wasserfall gefunden haben, liegen auf meinem Schreibtisch. Irgendwann werde ich wiederkommen.